Yvonne Schröder traf Jane Goodall auf der Reise von Magdeburg nach Berlin im Zug zu einem Interview. Vor 60 Jahren setzte Jane Goodall mit der Verhaltensforschung von Schimpansen in Tansania den Samen für ein lebenslanges Engagement für den Tier- und Umweltschutz.
YLS: Doktor Goodall, seit 1986 reisen Sie um die Welt, um unter anderem bei Vorträgen und in Interviews mehr Bewusstsein für unsere ökologischen und sozialen Probleme zu wecken.
Auch jetzt, bei diesem Gespräch, sitzen wir in einem fahrenden Zug, der Sie nach Berlin bringt. Woher nehmen Sie Ihre Energie?
JANE GOODALL: Nun, ich reise nicht jeden Tag im herkömmlichen Sinne, es ist eher eine ununterbrochene Reise. Ich bin 300 Tage im Jahr unterwegs. Die Energie nehme ich von den Menschen, die mir sagen, dass meine Vorträge etwas bewirken. Ich bekomme oft die Rückmeldung, dass ich etwas verändern konnte mit dem, was ich erzähle. Die Menschen haben dann wieder Hoffnung. Und Hoffnung ist wichtig, denn nur mit Hoffnung kann man etwas zum Positiven verändern. Mir liegt einfach sehr viel an der Wildnis und an den Kindern dieser Erde, ich muss es einfach tun. Wissen Sie, man bekommt Flügel, wenn man etwas tun muss. Deshalb habe ich auch heute noch mit 85 Jahren die Energie, um so viel unterwegs zu sein
Ist es dieselbe Energie, die Sie auch damals nach Gombe in Tansania führte?
Ja, ich denke schon. Damals war es eher mein starker Wunsch, mit wilden Tieren leben zu wollen. Als ich nach Gombe ging, das ist dieses Jahr übrigens 60 Jahre her, war die Zerstörung der Umwelt und der damit verbundene Rückgang des Lebensraums für Tiere noch nicht so weit fortgeschritten wie heute. Die Energie nehme ich heute wohl eher daher, dass ich diesen Prozess aufhalten will.
Wenn man es mit einem Samen, der gesetzt wird, vergleichen würde, welche Zutaten –
oder welche Eigenschaften – benötigten Sie, damit in Gombe etwas keimen bzw. aufgehen konnte?
Einen Samen setzen, das ist ein schöner Vergleich. Ich habe ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben („Samen der Hoffnung“, Anm.), in dem es um Pflanzen und deren Rolle bei der Erhaltung des Lebens auf der Erde geht. Wenn man es als Metapher verstehen möchte, dann könnte man sagen, der Samen wurde mir bereits bei der Geburt mitgegeben. Ich wurde mit einer sehr großen Liebe für Tiere geboren, die sich dann sehr früh in dem Traum, nach Afrika zu gehen, manifestierte. Zudem hatte ich eine Mutter, die mich bei allem, wovon ich träumte, unterstützte. Die Eigenschaften, die ich für das Keimen in Gombe brauchte, waren in erster Linie Neugier, Entschlossenheit und Geduld.
Als Verhaltensforscherin, was würden Sie über das Ver- halten der Menschen sagen? Warum gehen wir Menschen so rücksichtslos und ohne an die langfristigen Folgen zu denken mit unserem Planeten und den darauf wohnenden Lebewesen um?
Wir sind intellektuelle Kreaturen und gleichzeitig sind wir sehr dumm, denn wir zerstören unser einziges Zuhause. Der Grund dafür ist, dass unsere Lebensweisheit so eng mit dem Materialis- mus verbunden ist. Wir denken, Erfolg ist Geld und Geld ist Glück, und demnach kämpfen wir permanent dafür, mehr von beidem zu bekommen. Schon Mahatma Gandhi sagte „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jeder- manns Gier.“ Es ist absurd zu denken, dass unser ökonomisches Wachstum unbegrenzt so weitergeht. Das ist unmöglich und wir müssen etwas ändern.
Glauben Sie, wir Menschen können unser Verhalten tatsächlich ändern?
Ja, das glaube ich und es geschieht auch gerade. Die junge Generation verändert gerade etwas. Sie beeinflusst zudem ihre Eltern und ihre Großeltern, die wiederum vielleicht Firmen leiten oder Politiker sind.
Sie haben also Hoffnung für unseren Planeten?
Ja, es gibt Hoffnung. Genau deshalb reise ich gerade noch mehr und nicht weniger. Ich möchte Menschen weiter inspirieren, da ich glaube, dass jeder Einzelne von uns etwas bewirken kann. Um eine Veränderung herbeizuführen, müssen wir lernen, nachhaltig zu leben. Wenn also Millionen und Millionen von Menschen beginnen, ethische Entscheidungen zu treffen, sich zum Beispiel beim Kauf eines Produkts über- legen, woher es kommt, wie es produziert wurde und was es enthält, dann haben wir eine Chance.
Wir müssen mit und nicht gegen die Natur arbeiten – so lautet eine Ihrer wichtigsten Ratschläge, wenn es um das Thema Landwirtschaft geht. Sie fördern und fordern biologische Landwirtschaft. Vielleicht können Sie uns in Ihren Worten sagen, warum das für Sie so wichtig ist:
Wir müssen aufhören, Pestizide, also chemische Düngemittel, einzusetzen. Wir ertränken unsere eigenen Lebensmittel in Giften, deren fatale Wirkung hinlänglich bewiesen ist. Zusätzlich gelangt das Gift in unser Ökosystem und die Erde verliert ihre Fruchtbarkeit. Aber gerade Lobbyisten und Anwälte von Unternehmen, die aus Pestiziden Profit schlagen, wie zum Beispiel Monsanto, schaffen es immer wieder, diese Realität zu verschleiern.
Welche Ziele sollten wir verfolgen, wenn es um den Anbau von Lebensmitteln geht?
Ja, und wenn es diese hochwertigen Produkte wieder gibt, wenn die Menschen wieder wissen, wie sie hergestellt werden, und ihren Mehrwert kennen, dann sind sie auch bereit, einen gerechten Preis zu zahlen – und es landet dann auch viel weniger Brot im Müll.
Welche Ziele sollten wir verfolgen, wenn es um den Anbau von Lebensmitteln geht?
Wir sollten keine Label für Permakultur oder biologische Landwirtschaft erfinden müssen, sondern ganz selbstverständ- lich auf nachhaltige Landwirtschaft setzen, die ja die ur- sprüngliche, echte Landwirtschaft ist. Wir müssen uns den Bio-Bauern zuwenden. Diese gehen sorgsam mit dem Boden um und verzichten auf synthetisch hergestellte Agrargifte. Am Ende entstehen dabei gesunde Lebensmittel, die uns selbst auch keinen Schaden zufügen.
Sie sind Vegetarierin, warum?
Als ich in den 1960er-Jahren aus Afrika zurückkam, besuchte ich in England eine industrielle Tierfarm. Zuvor gab es Massen- tierhaltung nicht in diesen Ausmaßen. Was ich dort sah, waren Angst, Schmerz und Tod. Eine Massenvernichtungsanlage für fühlende Wesen. Die Art und Weise, wie die Tiere dort behan- delt wurden, hat mich so nachhaltig beeinflusst, dass ich danach kein Fleisch und keinen Fisch mehr essen konnte. Wenn ich zuhause bin in England, dann lebe ich vegan. Unterwegs ist das schwieriger, aber ich versuche es. In meiner Tasche habe ich zum Beispiel immer etwas Margarine dabei.
1991 haben Sie die Organisation Roots & Shoots (Wurzeln & Sprösslinge) gegründet. Ein Programm, das Kinder und Jugendliche zusammenbringt, um sich mit Umwelt-, Natur- schutz- und humanitären Themen zu befassen. Ist das eine neue Saat, die Sie gesetzt haben, um die Welt zu retten?
In der Jugend liegt die Hoffnung, daher sind Projekte mit jungen Menschen so wichtig. Die Idee hinter Roots & Shoots ist recht einfach, sie soll ja auch weltweit funktionieren. Die Kinder haben gleich zu Beginn drei Wahlmöglichkeiten: Sie können sich dafür entscheiden, Tieren zu helfen, der Umwelt zu helfen oder Menschen zu helfen. Das Verblüffende ist, dass die Kinder bereits im jungen Alter in ihrer Entscheidung meist schon sehr klar sind.
Es beglückt mich zu sehen, wie vielfältig und kreativ die Kinder und Jugendlichen ihrer Intention folgen. Manche retten verlassene Tiere, andere Gruppen wiederum säubern vermüllte Bachläufe, einige pflanzen Bäume, helfen Obdachlosen oder machen Aufklärungskampagnen zum Recyceln. Ganz im Sinne unseres Mottos „Jeder Einzelne von uns kann jeden Tag etwas bewirken“. Begonnen haben die ersten Projekte in Afrika, heute ist unsere Organisation in über hundert Ländern aktiv.
Sie sind auch Umweltaktivistin, ebenso wie Greta Thunberg. Es scheint, als ob die junge Frau aus Schweden ebenso unbeirrbar wie Sie ihren Weg geht. Was halten Sie von Greta?
Ich konnte Greta kurz in Davos beim Weltwirtschaftsforum in diesem Jahr treffen, leider hatte sie eine Grippe und wir konnten nicht wirklich sprechen. Das fand ich sehr schade, denn ich finde, sie macht einen tollen Job, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz zu schaffen. Wir erreichen nun einen kritischen Punkt und haben nur ein kleines Fenster, um aktiv zu werden und den Schaden, den wir bereits angerichtet haben, wieder zu reparieren. Um den Klimawandel zu verlangsamen, müssen wir aber alle anpacken, nicht nur die Jugend. Und zwar jetzt.
Was raten Sie engagierten Frauen, die sich für eine bessere Zukunft einsetzen wollen?
Eine Botschaft, die mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben hat und die ich auch immer wieder jungen Menschen, egal ob Männern oder Frauen, mitgebe, lautet: Wenn du etwas wirklich tun willst, dann musst du hart dafür arbeiten, musst jede Gelegenheit ergreifen und du darfst niemals aufgeben. Allerdings stehen gerade junge Frauen und Mädchen in vielen Ländern noch vor größeren Herausforderungen als die jungen Männer. Deshalb engagiere ich mich auch auf diesem Gebiet.
Wie schaffen Sie es, nicht die Hoffnung zu verlieren?
Ich habe vier Gründe für Hoffnung – oder wenn Sie so wollen, vier Samen der Hoffnung. Der erste ist, wie bereits schon erwähnt, die Jugend. Wo immer ich hinkomme, treffe ich auf junge Menschen, die mir von Aktionen berichten, die unsere Welt besser machen. Die Bewegung Roots & Shoots hat Wurzeln geschlagen und trägt Früchte, aber es gibt auch ein generelles, weltweites Aufbegehren der jungen Menschen.
Der zweite Grund für meine Hoffnung ist unsere Intelligenz, also unser Gehirn. Ich vertraue auf die Intelligenz der Menschen. Unser Gehirn beginnt auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren. Wir erfinden Technologien für ein nachhaltigeres Leben und wir beginnen ethische Fragen über die Herstellung von Produkten zu stellen.
Der dritte ist die Resilienz der Natur, also die Widerstandskraft. Die Natur kann sich erholen. Das beste Beispiel ist der Gombe- Nationalpark, der auf eine kleine Fläche geschrumpft war. Auf den einst kahlen Hügeln sind mittlerweile junge Wälder entstanden, und die Schimpansen haben heute wieder mehr Raum.
Und der vierte und letzte ist der Fakt, dass wir Menschen nicht aufgeben. Der unzähmbare Wille und die Energie von uns Menschen. Überall auf der Welt finden sich Menschen zusam- men, um sich für eine bessere Welt einzusetzen. Ich glaube fest daran, dass, wenn jeder jeden Tag ein Stück Plastik aufhebt, die Welt wieder sauber wird.
Dieser Artikel ist im Magazin Freude von Sonnentor erschienen im April 2020
JANE GOODALL
Mittlerweile setzen sich 30 Jane Goodall Institute rund um den Globus für umfassenden Natur- und Artenschutz, für Bildung in nachhaltiger Entwicklung sowie für globale Entwicklungszusammenarbeit ein. Jane Goodall ist UN-Friedensbotschafterin, Umweltaktivistin und mit dem Ehrentitel „Commander of the British Empire“ ausgezeichnet.
CLEVER GIRLS EMPOWERMENT
Das Jane Goodall Institut in Österreich und eine ugandischen Schwestereinrichtung hat das Bildungsprogramm „Clever Girls“ für Mädchen und junge Frauen in Uganda gegründet. Die Idee ist es unter anderem Aufklärung zu Familienplanung und Sexualität zu schaffen, was sich positiv auf die Chancen auf einen Schulabschluss bei jungen Frauen auswirkt.
FILMTIPP
Eindrucksvolle Dokumentation mit Aufnahmen aus
den „National Geographic“-Archiven. „Jane“ Ein Film von Brett Morgan // DVD, 87 Minuten //
ASIN: B07B5Y6V31 // „Jane“ ist aktuell u. a. auf Netflix, Amazon Prime und iTunes zu sehen.
BUCHTIPP
Ein Rundgang durch die geheime Welt der Pflanzen und deren wichtige Rolle für die Erhaltung des Lebens auf der Erde.
„SEEDS OF HOPE: Wisdom and Wonder from the World of Plants“ von Jane Goodall, Gail Hudson Grad Central Publishing Verlag, 2014, 432 Seiten ISBN-13: 978-1455554492