Die Kraft im Regen

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DerRegenfasziniertdieMenschheitseitAnbeginnderZeit.FrüherwurdeeralsWerkderGötterherbeigetanzt,heuteverlassenwirunsaufdieMeteorologie.DassesamEndedesRegenbogenseinenSchatzgebensoll,glauben einige noch heute.

Erschienen 2014 in Österreich.

Er hätte sich keinen besseren Ort für seinen wertvollen Schatz als Versteck ausdenken können: Am Ende des Regenbogens, so heißt es in der irischen Mythologie, hätte er den Topf voll Gold versteckt. Die Rede ist von dem Leprechaun, einem Naturgeist aus der Sagenwelt Irlands, der vor allem für seinen Geiz bekannt ist. Es heißt auch, dass er den großen Topf mit Gold derjenigen Person vermacht, die es schafft, ihm zu entlocken, wo sich das Ende des Regenbogens befindet. Dieses Geheimnis könne man aber nur dann lösen, wenn man das zwergenhafte Feenwesen fängt, was nahezu unmöglich erscheint, da sich der wendige Leprechaun hervorragend in den hügeligen Wäldern Irlands auskennt. Kurz: Den kleinen Naturgeist zu fangen, ist wohl ebenso unmöglich, wie das Versteck, also das Ende des Regenbogens, zu finden.

Im Gegensatz zu der irischen Geschichte, die zumindest den Anreiz gibt, den Regenbogen an einem Ort dingfest zu machen, ging man in anderen Mythologien davon aus, dass der Regenbogen als solches erst gar nicht für den Menschen greifbar sei. In der griechischen als auch in der germanischen Mythologie galt der Regenbogen als Brücke und Mittler zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt. Im Judentum und im alten Testament wiederum erschien er als Zeichen des Friedens zwischen Gott und Mensch nach der Sintflut. Diese wie auch andere überlieferte Mythologien ähneln sich alle insofern, dass es unmöglich als auch unerklärlich schien, wie, aber auch wo ein Regenbogen entsteht bzw. beginnt und endet.

Ohne die Physik war es den Menschen damals auch nicht möglich, den Regenbogen als natürliches Phänomen zu entlarven. Die Entmystifizierung ließ auf sich warten und war erst möglich, nachdem durch den englischen Physiker Isaac Newton bekannt wurde, dass Sonnenlicht nur im Auge des Betrachters weiß erscheint und auf Abruf, also durch ein Prisma, in rotes, grünes und blaues Licht gespalten werden kann. Die Farben, die durch die sogenannte Dispersion in den kleinen Regentropfen in der Luft entstehen, sind immer gleich und in derselben Reihenfolge: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Das farbige Band erscheint zudem immer nur dann am Himmel, wenn der Betrachter die Sonne im Rücken und den Regen vor sich hat. Dank der Optik und der Physik wissen wir heute, dass ein Regenbogen immer unter demselben Beobachtungswinkel gesehen, also immer als ein Objekt in unendlicher Entfernung wahrgenommen wird. Das Verwirrendste daran war für die Menschen damals (und ist es wahrscheinlich auch noch heute), dass der Regenbogen sich immer mit dem Beobachter mitbewegt. Wie die irische Sage also bereits vermuten ließ, kann der Betrachter nie an das Ende des Regenbogens vor ihm gelangen. Der wahre „Schatz“ bleibt ihm immer verwehrt.

Doch trotz der recht nüchternen naturwissenschaftlichen Erklärung, die wir heutzutage bereits im Grundschulalter vermittelt bekommen, hat der Regenbogen auch heute noch eine starke Symbolkraft, im übertragenen Sinne steht er für einen Übergang von der einen in eine andere Welt. Er symbolisiert die gesellschaftlichen Ideale Freiheit, Toleranz und Veränderung. Greenpeace hat ihn sich auf die Fahne geschrieben und sein Flaggschiff „Rainbow Warrior“ getauft. Grundlage für die Namensgebung ist eine alte indianische Prophezeiung, derzufolge die Erde zerstört würde und danach nur noch die Krieger des Regenbogens, also Menschen aller Klassen, Hautfarben und Glaubensrichtungen, die Welt bevölkern würden. Neben den Indianern setzten auch die Inkas nach den langjährigen Bauernkriegen auf den Regenbogen als Zeichen für Hoffnung und Veränderung. Seit den 1970er Jahren leuchtet er auch auf der Fahne der Schwulen- und Lesbenbewegung und wurde dadurch auch zum Symbol für sexuelle Freiheit. Im Jahr 2003 flatterte die Regenbogenfahne zum ersten Mal als Friedenssymbol bei einer Demonstration gegen den Irak-Krieg in Form einer Flagge von einem Balkon in Italien und wurde damit letztlich auch zum internationalen Zeichen des Friedens. Die sinnbildliche Kraft des bunten Regenbogens vereint jene Traumbilder und Wünsche, von denen die Menschheit schon immer träumt und weiter träumen wird.

Der Regen wiederum ist an die reale Existenz der Menschheit gekoppelt. Bleibt er aus, sind die Ernte und die Trinkwasserversorgung gefährdet; kommt er mit Unwetter und führt zu Überschwemmungen, haben die Menschen Angst vor ihm. Somit hat der Regen eine viel realistischere und weniger träumerische Komponente als der bunte Bogen, den er herbeiführt. Aus Angst vor zu viel Regen etwa, der in Überschwemmungen von nahegelegenen Flüssen und Seen ausuferte, erfanden manche Kulturen sogar Rituale, um ihn wegzuzaubern. Als Unwetter in Kombination mit Blitz und Donner löste er zum Teil solche Furcht aus, dass man versuchte, ihn durch Menschenopfer zu besänftigen. Wohingegen nach längerer Dürrezeit, wenn die Ernte durch mangelnde Wasserzufuhr gefährdet war, versucht wurde, einen Wolkenbruch herbeizuführen. Das wohl bekannteste Zeremoniell dafür war der Regentanz.

 
Dieser Tanz lässt sich unabhängig voneinander in vielen Kulturen über alle Zeiten hinweg finden, wie etwa bei den amerikanischen Ureinwohnern, den Cherokee-Indianern, die mit dem Tanz Niederschlag auslösen und gleichzeitig böse Geister vertreiben wollten.

Regentänze werden bei einigen Stämmen auch heute noch aufgeführt.

Die bekannte Professorin für Kulturanthopologie und ehemalige Direktorin des Instituts am Universitätsklinikum Ulm, Ina Rösing, erforscht seit 20 Jahren die Kallawaya-Kultur, eine Ethnie in Bolivien, die aufgrund ihrer Heilkünste in Regionen der Anden bekannt ist und von der UNESCO 2003 unter die „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ aufgenommen wurde. Im Jahr 1993 erhielt sie den Landesforschungspreis für ihre Arbeit über die „Rituale zur Rufung des Regens“. Ina Rösing zog mit den Regenritualisten der Kallawaya-Kultur hinaus zu den einsamen Bergseen und studierte bei ihnen über längere Zeit die ausführliche Regenritualistik. „Gerade in einer Situation von anhaltender Dürre und damit drohender Hungersnot organisiert der Ritualist unter Beteiligung des gesamten Dorfes und einer Vielzahl von Nebenritualisten das höchst komplexe, meist mehrtägige Ritual zur Rufung des Regens“, erklärt die Expertin in ihrem Buch zur Forschungsarbeit „Munda Ankari“ (Band 5). Auch im jemenitisch-saudiarabischen Grenzgebiet glaubt der Stamm der Munebbih, dass Regen etwas von Gott Gegebenes sei. Und auch in Europa, genauer gesagt in Rumänien, wo die Landwirtschaft große Bedeutung hat und viele Menschen von ihr abhängig sind, werden ab und zu nach längerer Dürrezeit noch heute Regentanzrituale aufgeführt.

Durch die gesamte Kulturgeschichte hinweg gingen Völker in praktisch allen Teilen der Erde davon aus, dass der Regen von der Gnade Gottes abhinge. So wie etwa von der des Regengottes Quetzalcoatl in Mexiko, der einer gefiederten Schlange ähnelte und als oberste Gottheit auf Gebäuden der Azteken, Tolteken und Mayas prangte und sogar mit Menschenopfern verehrt wurde. In anderen altorientalischen oder auch in skandinavischen Kulturen wurde der Regen jenen Göttern, die das Wetter und vor allem den Sturm beherrschten, zugeordnet. In den stärker vom Regenfeldbau geprägten Gebieten nahm er eine sehr bedeutende Stellung unter den großen Gottheiten ein. In China etwa symbolisierte der Regen die Fruchtbarkeit und wurde von einem großen Drachen mit Hilfe von Bällen erzeugt.

Man wollte das Wetter beeinflussen, vorhersehen, das eigene Schicksal beeinflussen. Auch die in hiesigen Breiten bekannten „Bauernregeln“ oder „Lostage“, wie etwa „Am Neujahrstage Sonnenschein lässt das Jahr uns fruchtbar sein“, waren als Versuch der Landbevölkerung zu deuten, die vier Jahreszeiten in wetterrelevante Abschnitte zu unterteilen, um im Vorhinein bevorstehende Ernteaussichten einschätzen zu können.

Doch zunehmend verlässt sich der Mensch auf die Wissenschaft. Im 17. Jahrhundert wurde das Abfallen des Luftdrucks erstmals mit dem Aufzug eines Gewitters in Zusammenhang gebracht, der nordatlantische Eiswarndienst entstand nach dem unerwarteten „Titanic“-Unglück 1912. Um 1900 gab es erste nationale Wetterdienste, in den 1950er Jahren konnte man zudem bereits auf meteorologische Satelliten bauen. Heute gibt es viele staatliche und private Wetterdienste, die aufgrund von meteorologischen, also naturwissenschaftlichen Errungenschaften eine hohe Wahrscheinlichkeit bei der Vorhersage garantieren. Eine Prognose für die kommende Woche ist heutzutage genauso zuverlässig wie die für einen Tag vor dreißig Jahren. Die Vorhersage für die nächsten 24 Stunden erreicht mittlerweile eine Trefferquote von bis zu 90 Prozent. Bei jener für die nächsten drei Tage liegt die Wahrscheinlichkeit bei mehr als 75 Prozent. „Die Exaktheit der Zusage hängt vor allem auch von der Wetterlage ab“, sagt Peter Praschinger, Wettermoderator bei dem österreichischen Privatfernsehsender ATV. „Bei einem stabilen Hoch im Sommer haben wir es leichter. Im April hingegen ist es schon etwas schwieriger mit der exakten Regenprognose. Aber da verzeiht man uns auch schon einmal, wenn wir nicht ganz richtig liegen.“ Ein bischen Magie ist also immer noch dabei …