Mit dem Herzen denken

YES Blog Artikel Herzintelligenz

Wenn man das Tor zum Herzen öffnet, so glauben spirituelle Kulturen, lebt man glücklicher. In der Wissenschaft spricht man von der sogenannten Herzintelligenz. Erstaunlich dabei, wie sehr sich mitunter über Jahrtausende überlieferte Methoden in dem spiegeln, was die moderne Forschung heutzutage untersucht und herausfindet. Ein Blick ins Herz.

Inmitten der bergigen Vulkan-Landschaft auf der kanarischen Insel Teneriffa, befindet sich eine Finca, in der nun wieder regelmäßig Yoga Retreats stattfinden. „Heute ist ein ganz besonderer Tag“, sagt Monique, Leiterin des Retreats, „am dritten Tag befassen wir uns mit dem Herz-Chakra. Das ist immer ein sehr emotionaler Tag für die Teilnehmer*innen.“

Das aus der altindischen Sprache Sanskrit stammende Wort Chakra bedeutet übersetzt so
viel wie Rad. Es beschreibt eine Art Licht- oder Energie-Rad, das sich aus vielen kleinen Energiewirbeln zusammensetzt, die sich an bestimmten Punkten in unserem Körper kreuzen. Es gibt insgesamt sieben Haupt-Chakren, das Herz-Chakra ist das vierte und liegt in der Mitte des Brustraumes. Im Idealfall sind alle Chakren geöffnet und drehen sich fröhlich um sich selbst, so die indische Lehre. Doch manchmal sind sie eben auch blockiert.

Ist ein Chakra nicht geöffnet, also blockiert, hat das Auswirkungen auf das ganze energetische System. Ein solches blockiertes Energiezentrum kann physisches und emotionales Unbehagen hervorrufen. Und gerade das Herz-Chakra ist ein sehr wichtiges. Ist es blockiert, dann sind wir nicht mehr fähig, wahre Liebe zu leben. Wir blockieren sozusagen, lassen niemanden an uns heran und behandeln auch uns selbst nicht wohlwollend – so das spirituelle Verständnis.

ZURÜCK ZUM HERZ
Retreat bedeutet übrigens so viel wie Rückzug. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Gäste hier in der Yoga-Finca aus stressigen Berufen und Lebenssituationen kommen und sich nach einer Auszeit sehnen. Sie haben den Wunsch, wieder mit sich selbst in Kontakt zu treten, sich zu spüren und, ja, auch Blockaden zu lösen. Bei den meisten Teilnehmer*innen dreht sich das Herz-Chakra nicht wirklich rund – und das sei häufig der Fall, sagt Yoga-Lehrerin Dhyana. Das liege daran, dass wir uns in unserer westlich sozialisierten Welt viel zu wenig um unsere Herzöffnung kümmern. Wir seien viel zu viel im Kopf und zu wenig im Körper. Gefühle würden wir zur Seite schieben oder verdrängen, was dazu führe, dass wir Blockaden gerade rund um unser Herz aufbauen. „Wir leben viel zu wenig nach unserem Herzen“, ergänzt Monique.

Die Lehre von den Chakren stammt aus Indien, sie findet sich aber auch in Teilen im Buddhismus, Hinduismus und der Yoga-Lehre wieder. Auch die Inka und die nordamerikanischen Ureinwohner setzten in der Heilung den Fokus auf die Energie- punkte, und sogar in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die bei uns in Europa immer mehr an Bedeutung gewinnt, wird mit Chakren gearbeitet. Die Chakren stehen in der TCM unmittelbar mit den Meridianen, den Energiebahnen des Körpers, die zum Beispiel auch die Grundlage der Akupunktur sind, in Verbindung. Schon seit Jahrtausenden spricht man in östlichen Ländern wie China, Indien, Japan und Tibet von sogenannten Energiekanälen, Meridianen oder Nadis, an denen die Lebensenergie entlangfließt. Die Gesundheit hängt hier stark von ausgeglichenen Energien ab, einer Balance des energetischen Systems.

Balance in unserem körperlichen System, diese Idee rückt auch in unserer westlichen Wissenschaft immer mehr in den Fokus der Forschung. Und ebenso wie in der Lehre der Chakren spielt das Herz als Zentrum des Zusammenspiels aller Körperfunktionen eine entscheidende Rolle.


DAS HERZ LIEGT UNS AM HERZEN
Das Herz ist weit mehr als eine hochwirksame Blutpumpe. Forscher haben entdeckt, dass im Herzen selbst ein eigenständiges neurales System existiert. Rund 40.000 Nervenzellen sollen in unserem „Herzgehirn“ liegen, alleine sechzig Prozent davon sollen für die Verarbeitung von Informationen zuständig sein. Die Nervenzellen im Herzen besitzen sogar sowohl ein Kurzzeit- als auch ein Langzeitgedächtnis. Das Herz hat also auch die Fähigkeit, sich zu erinnern. Dass unser Herz und unser Gehirn miteinander kommunizieren, ist in der Medizin schon lange bekannt. Das Gehirn sendet Informationen an das Herz, und umgekehrt sendet das Herz auch Informationen an das Gehirn. Bisher war jedoch unklar, wie Letzteres tatsächlich funktioniert. Ein Forschungsteam des deutschen Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Berlin School of Mind and Brain hat im letzten Jahr einen entscheidenden Mechanismus dafür entdeckt: Mit dem Herzzyklus, vereinfacht ausgedrückt der Anzahl der Herzschläge, verändert sich auch die Hirnaktivität. Das Gehirn nimmt nicht nur äußere Signale wahr, sondern eben auch die inneren. Es hört auf das Herz.


DAS GEHIRN IM HERZEN
Das Institute of HeartMath in Boulder Creek in Kalifornien befasst sich seit vielen Jahren mit der wissenschaftlichen Erforschung der HerzIntelligenz®-Methode. Der Autor und Begründer der Herzintelligenz- methode, Doc Childre, schreibt in seinem Buch: „Unsere Forschungen lassen vermuten, dass das Herz, entsprechend dem emotionalen Zustand eines Menschen, Informationen an das Herzzentrum im Hirnstamm überträgt. Diese Gebiete sind direkt mit der Basis des Stirnlappens verbunden, die bei der ,Entscheidungsfindung‘ und der Integration von Vernunft und Gefühl eine wichtige Rolle spielen.“

Oder anders ausgedrückt: Das, was wir mit dem Herz und seinen Rezeptoren empfinden, hat Auswirkungen auf die höheren Zentren in unserem Gehirn. Diese Gehirnregionen wiederum steuern unsere Wahrnehmung, aber auch Emotionen und die Lernfähigkeit. Es scheint also, unser Herz funktioniert wie ein eigenes Sinnesorgan. Das Herz, der achte Sinn?

Auf Teneriffa ist es Nachmittag und die Öffnung des Herz-Chakras ist in vollem Gange. Einige der Teilnehmer*innen haben sich in die Stille zurückgezogen, andere suchen den Austausch in der Gruppe. „Es fließen oft Tränen an diesem Tag“, erklärt Monique und lächelt. „Und das ist gut so. Denn Tränen bedeuten, dass eine Heilung stattfindet und sich erste Blockaden beginnen zu lösen.“ Am Abend wird es noch eine kleine Zeremonie geben. Die Yogis schreiben alles, was sie hinter sich lassen möchten, auf und verbrennen das Papier dann mit einem gesungenen Mantra gemeinsam im Kamin. Auch das sei wichtig, so die Retreat-Leiterin, die selbst regelmäßig meditiert, um die mentale und körperliche Balance zu halten. „Heilung bedeutet auch, alte Dinge und gerade auch alte Verhaltensweisen loszulassen. Damit man dann, wenn man zurück ist im Alltag, das Leben mit einer anderen, positiveren Einstellung angehen kann.“ Immerhin soll sich das kleine Rad im Herzraum lange weiterdrehen und nicht gleich wieder blockieren.


HAND AUFS HERZ
Am Institute of HeartMath wurden in den letzten Jahren Untersuchungen durchgeführt, die aufzeigen, dass unsere Gesundheit stark von unserer mentalen und emotionalen Einstellung beeinflusst wird. Wie das gehen soll? Indem wir mit unseren Gedanken das vegetative Nervensystem beeinflussen. Zur Erklärung: Das vegetative Nervensystem (VNS) regelt autonom die Abläufe in unserem Körper. Es reguliert beispiels- weise unsere Atmung, den Stoffwechsel und den Herzschlag. Das VNS können wir nicht direkt mit unserem Willen steuern, allerdings empfängt es Signale aus dem Gehirn und sendet sie an den Körper. Wir können also die Kommunikation von unserem Gehirn in Richtung Herz aktiv beeinflussen. Und wie man aus den Studien ableiten kann, lösen etwa negative Gedanken und Emotionen Störungen und Ungleichgewichte im VNS aus. Positive wiederum schaffen Gleichgewicht, was zu einer besseren Balance des Hormon- und Immunsystems führt – da wäre sie also wieder, die Balance.

MIT DEM HERZEN SEHEN
In einer Forschungsarbeit des Institute of HeartMath wurde mithilfe von zwanzig Testpersonen festgestellt, dass ein einziges Ärger- oder Frustrationserlebnis das Immunsystem für mindestens sechs Stunden schwächen kann. In weiteren Forschungs- reihen konnte aufgezeigt werden, dass die Herzfrequenz und gleichzeitig die Hirnströme sowie die Atmung ruhiger und harmonischer werden, wenn sich eine Person per Vorstellungskraft auf ihr Herz und auf positive Gefühle konzentrierte.
Nach nur fünf Minuten Konzentration auf positive Gedanken, wie etwa Mitgefühl oder Selbstliebe, stieg zudem die Immunglobin (IgA)-Konzentration im Blut an. Immunglobine
sind Eiweißkörper, also Antikörper des Immunsystems, und einer der wichtigsten Verteidiger unseres Organismus gegen viele Krankheiten.

Auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin beruft man sich auf Techniken, die sich auf die Konzentration positiver Gefühle berufen, um das energetische Gleichgewicht wiederher- zustellen. Auch die Herz-Chakra-Meditation hat einen ähnli- chen Hintergrund. Vereinfacht dargestellt: Die Meditierenden lenken ihre Aufmerksamkeit auf den Herzraum und stellen sich vor, dass sich das kleine Rad wieder dreht. In der buddhistischen Metta-Meditation wird dazu noch das Gefühl der „Liebe und Güte“ mit hinzugenommen – entweder für andere oder für sich selbst.


HÖR AUF DEIN HERZ!
Fakt ist, dass alle Herangehensweisen eine ähnliche Basis haben: Wenn wir unser Herz für positive Empfindungen öffnen, sie also in unserem Herzen wachrufen und trainieren, an ihnen festzuhalten, ist das gut für unsere Gesundheit. Erste Forschungen in den USA zeigen sogar auf, dass Menschen, die zu echter liebender Fürsorge fähig sind, eine signifikant höhere Lebenserwartung haben. Glücklicher lebt man außerdem in jedem Fall. Könnte man Glück messen, könnte selbst das wahrscheinlich sogar bewiesen werden.

Der Tag im Yoga-Retreat neigt sich dem Ende zu. Die Teilnehmer *innen machen einen gelösten Eindruck. Sie sitzen zusammen mit einem Tee und dem Blick ins Tal, es wird noch lebhaft geredet und gelacht. Monique bereitet das Frühstück für den nächsten Tag zu, einen veganen Chia-Pudding mit Banane und Kokosmilch. Viele der Zutaten wachsen auf der Insel, alleine im Garten hinter der Yoga-Shala stehen sechzig Avocado- Bäume. „Auch die Ernährung sollte in Balance sein“, sagt sie. „Blockaden lösen und Heilung ist gut, aber auch der Körper braucht positive Energie. Und die bekommt man nur, wenn die Lebensmittel, die man ihm zuführt, auch in Balance sind.“
Sie wünscht den Teilnehmer*innen eine gute Nacht und schreibt mit Kreide das Zitat für den nächsten Tag auf die Tafel über dem Frühstückstisch: „Jeder von uns ist allwissend. Wir müssen lediglich unser Bewusstsein öffnen, um unserer eigenen Weisheit zu lauschen. Das Herz kennt den Weg.“ (Buddha)

Zur Autorin: Yvonne Schröder glaubt an die Kraft des Herz-Chakras und setzt sich oft damit auseinander – ob als Journalistin wie hier in unserem Text, als Yoga-Praktizierende in Retreats oder in ihrer Praxis als Meditationscoach. Wer mehr über Chakren und ihre Bedeutung erfahren oder vielleicht eine solche Meditation einmal ausprobieren möchte, Yvonne gibt auch Online-Sessions: www.yesmeditation.de

und hier könnt Ihr das ganze Magazin FREUDE von Sonnentor lesen

EINE KLEINE ÜBUNG FÜR DAS HERZ:

Herzintelligenz kann man trainieren – und das am besten in einer stressbeladenen Situation.

Hier eine kleine Übung zur Aktivierung in

FÜNF SCHRITTEN:

1. Du hast gerade Stress? Dann atme ganz bewusst ein und atme aus.

2. Konzentriere dich auf die Herzgegend, die Mitte deines Brustraumes. 4

3. Denke dabei an ein schönes Erlebnis oder einen angenehmen Ort, an dem du dich sehr wohlfühlst.

4. Nimm das positive Gefühl wahr und bleibe dabei.

5… und zwar so lange, bis in dir intuitiv eine Antwort zu der aktuellen stressigen Situation auftaucht.