Achtsamkeit ist eine Superkraft, die wir alle besitzen. Wahrscheinlich haben wir sie einfach nur verlernt.
Was wird heute wohl Wunderbares geschehen? Wer wird mir begegnen? Werde ich im Laufe des heutigen Tages etwas Neues erlernen? Das sind wahrscheinlich nicht die Fragen, die uns morgens beim Aufwachen als erstes einfallen. Bei den meisten von uns setzt sich morgens ein eher negatives Gedankenkarussell in Gang.
Noch im Bett liegend läuft der bevorstehende Tag durchgeplant vor dem inneren Auge ab: Kaffee aufsetzen, duschen, das Frühstücksbrot zubereiten, der Arbeitsweg oder der Weg zum Kindergarten, das Meeting, wichtige Telefonate am besten in der Mittagspause erledigen, auf dem Heimweg noch etwas besorgen, Abendessen, vielleicht ein Treffen mit Freund*innen.

Das Gegenteil von Achtsamkeit: Der Autopilot-Modus läuft und der Teil unseres Gehirns, der für Gewohnheiten, also Gelerntes und Automatismen, zuständig ist, brummt bereits morgens fröhlich vor sich hin.
Durch unseren Alltag bewegen wir uns in einem Gedankenstrom, der sich vor allem um zukünftige oder vergangene Aufgaben und Situationen dreht. Wie wir uns wirklich fühlen, was wir denken und was um uns herum passiert, bekommen wir eher unbewusst mit. In unserer westlich sozialisierten Kultur, die sehr schnelllebig und leistungsfordernd ist, haben wir nie gelernt, inne zu halten. Nur ganz selten kommen wir im Hier und Jetzt an. Selbst wenn wir uns eine Pause zu gönnen, wie zum Beispiel bei einem Wochenende in der Natur oder im Wellness-Hotel, dann ist unser Kopf trotzdem aktiv. Unser Körper entspannt, unser Geist plant, was wir in den nächsten Tagen zu erledigen haben – oder stöbert durch sämtliche Social-Media-Kanäle.

Achtsamkeit: Im Osten viel Neues
Sicher, unser Geist ist ein wichtiges Werkzeug und schlaue Gedanken und Pläne helfen uns unsere Existenz zu sichern – das bedeutet jedoch nicht, dass unser Kopf rund um die Uhr beschäftigt sein muss. Wir gönnen dem Körper Ruhepausen und wir wissen eine ausgewogene Ernährung hält uns fit und gesund. Also warum kümmern wir uns nicht ebenso aufmerksam um unseren Geist?

Die kollektive Sehnsucht in unserer Gesellschaft nach Ruhe und dem Ausstieg aus dem Autopiloten zeigt sich vor allem darin, dass wir uns immer mehr Inspiration aus der östlichen Kultur in unseren Alltag holen. Gerade im Buddhismus und im Hinduismus gibt es viele Rituale und Techniken, um den Geist zu entspannen. Kein Wunder also, dass Yoga, Meditation und Achtsamkeit in unseren Breitengraden immer mehr Anhänger*innen finden.
Gerade letztere, die Achtsamkeit, ist aktuell in aller Munde. Sie scheint eine neu entdeckte Superkraft zu sein, die uns helfen soll, ein entspanntes und glückliches Leben zu führen.
Nur was genau steckt eigentlich hinter der Achtsamkeit? Und vor allem: Was bringt sie uns?
Glücklich sein durch Achtsamkeit
Wenn wir Kinder beobachten, dann bewundern wir an ihnen oft die Fähigkeit, sich über Dinge zu freuen, die wir selbst als selbstverständlich hinnehmen. Ihr Trick: Kinder leben im Moment. Sie machen sich keine Langzeitsorgen oder planen die nächsten Wochen voraus. Sie bewerten ihre Gefühle auch nicht, so wie wir Erwachsene das oft tun. Wenn sie sich freuen, machen sie sich keine Gedanken darüber, wie lange diese Freude wohl anhalten mag oder dass sie vielleicht das Zimmer später aufräumen müssen, in dem sie gerade spielen. Sie kosten jede Minute einfach voll aus.
Natürlich haben Kinder (in unserer Gesellschaft) generell auch weniger Sorgen, als wir Erwachsene. Wir müssen uns um unseren Lebensunterhalt und vielleicht eben auch um den der Kinder kümmern. Doch wenn wir einmal ganz achtsam in uns hineinhorchen und uns fragen: „Ist denn jede dieser Sorgen tatsächlich berechtigt? Ist jede Anschaffung, die Geld kostet, nötig? Sind die Dinge, die wir manchmal für so wichtig halten, tatsächlich so wichtig?“ – dann wird sicher schnell deutlich, dass wir uns oft zu viel sorgen.
Mindfullness: Zurück zum Wesentlichen
Durch regelmäßiges Wahrnehmen und Hineinspüren geschieht etwas in uns, das uns nicht nur zum inneren Kind zurückführt, sondern vielleicht auch zu unserem wahren Ich. Durch achtsames Beobachten werden uns Handlungsimpulse deutlicher. Die Hand greift automatisch zum Stück Kuchen, weil gerade Langeweile oder Frustration herrscht, und das obwohl der Wunsch nach einer gesünderen Ernährung groß ist. Dasselbe geschieht sehr oft beim Kauf von Produkten, die wir im Grunde nicht wirklich brauchen.
Wir ahnen – oder wissen vielleicht bereits – dass das schnelle Glück, wie es die Buddhisten nennen, nicht auf lange Zeit Zufriedenheit verspricht. Doch in unserem schnelllebigen Alltag übersehen wir dies sehr oft. Wir geben Geld aus für etwas oder investieren Zeit in Dinge, wie wir im achtsamen Zustand vielleicht anders entschieden hätten.
Durch das Praktizieren von Achtsamkeit werden sich Fragen wie „Brauche ich tatsächlich ein neues Smartphone?“ oder „Wo fliege ich dieses Jahr in den Sommerurlaub?“ vielleicht verändern oder sogar auflösen.
Dafür werden neue Wünsche und Ideen entstehen, wie zum Beispiel Wie schaffe ich es, mehr Zeit für mich zu haben? oder Was brauche ich wirklich in meinem Leben?. Durch kurzes, aber regelmäßiges Aussteigen aus dem Autopiloten, werden wir uns mit der Zeit automatisch Rückbesinnen auf das Wesentliche. Meist sind das Dinge, die kein Geld kosten aber dazu führen, dass wir achtsamer mit unserem Geld umgehen. Vielleicht bringt es Zufriedenheit, etwas Gutes tun, wie zum Beispiel sich ehrenamtlich zu betätigen oder einen neuen Weg einzuschlagen, wie eine Ausbildung zu beginnen oder eine neue Sprache zu lernen?
Die Balinesen hoffen, dass der kommende Tag viele neue und gute Überraschungen bereithält. Sie wissen ja nicht, was alles passieren wird an diesem einen Tag.
Die Menschen auf Bali, einer vor allem hinduistisch geprägten Insel in Indonesien, beginnen jeden Morgen gleich: Sie befüllen kleine handgeflochtene Körbchen mit Blüten und Früchten und entzünden ein Räucherstäbchen in deren Mitte. Diese Opfergabe hat (vereinfacht erklärt) den Zweck, böse Geister, die an diesem Tag auftauchen könnten, fernzuhalten.
Denn an einem einzigen Tag kann alles geschehen. Wir werden an einem Tag geboren, wir treffen an einem Tag die Liebe unseres Lebens, wir treten an einem Tag einen neuen Job an, wir erlernen etwas Neues und wir sterben auch an einem Tag. Der Ablauf eines Tages ist ungewiss. Begehen wir ihn achtsam, dann liegt in jedem Tag auch jede Menge Magie.